Der Berufsverband BDOÄ: Ein Interview mit Dr. med. Johannes Mayer und Dr. med. Stefan Giesswein
(4-2014)
In 2013 haben fünf osteopathische Ärzteverbände einen gemeinsamen Dachverband gegründet, den Berufsverband deutscher osteopathischer Ärzteverbände, BDOÄ. Mitgliedsverbände der BDOÄ sind in alphabetischer Reihenfolge das Ärzteseminar Osteopathische Medizin, ÄSOM, die Deutsche Ärztegesellschaft für Osteopathie, DÄGO, die Deutsch-Amerikanische Akademie für Osteopathie, DAAO, die Deutsche Gesellschaft für Osteopathische Medizin, DGOM, und der Deutscher Verband für Osteopathische Medizin, DVOM.
Herr Dr. Mayer, Herr Dr. Giesswein, der Dachverband der osteopathischen Ärzteverbände BDOÄ, dessen Präsident und Vizepräsident sie sind, hat kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht. Was war der konkrete Anlass hierfür?
J.M.: Osteopathie ist im Augenblick sehr populär. Sie wird aber andererseits gerade in Ärztekreisen sehr kontrovers diskutiert. Der BDOÄ ist ein Zusammenschluss ärztlicher osteopathischer Verbände. Wir wollten mit unserem Positionspapier die ärztliche Sichtweise der Osteopathie einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren.
S.G.: In unserer täglichen Arbeit erleben ja auch gerade wir osteopathisch tätigen Ärzte, das auch auf Seiten der Krankenkassen nach wie vor erheblicher Aufklärungsbedarf bzgl. ärztlicher Osteopathie besteht. Die Begrifflichkeiten sind offensichtlich nicht nur für viele Patienten verwirrend.
Der BDOÄ vertritt osteopathische Ärzteverbände mit sehr unterschiedlichen Mitgliedsstrukturen, teilweise bestehen diese ausschließlich aus osteopathischen Ärzten, teilweise befinden sich diese in der Minderheit. Sind da nicht Konflikte vorprogrammiert?
J.M.: Bei einigen der BDOÄ-Verbänden werden neben Ärzten auch Physiotherapeuten ausgebildet. Die Aufgabe des BDOÄ ist aber allein die Vertretung der ärztlichen Position. Darin sind sich alle BDOÄ-Mitglieder ohne Ausnahme einig. Der Vorteil dieser komplexen Struktur ist, dass wir auch die Belange der Physiotherapeuten, die osteopathisch tätig sind, gut verstehen und in die ärztliche Sichtweise integrieren können.
S.G.: Der BDOÄ sieht auch eine Aufgabe in einem Brückenschlag in die chirotherapeutisch-manualmedizinisch orientierte Ärzteschaft, aus der heraus sich ja viele osteopathisch tätige Ärzte hin zur Osteopathie entwickelt haben. Insofern bietet die Unterschiedlichkeit auch viele Optionen.
In seinem Positionspapier spricht der BDOÄ mehrere Themen an, angefangen bei der Aus- und Fortbildung. Für die ca. 1.500 osteopathischen Ärzte, die in ihren fünf Mitgliedsverbänden organisiert ist, wird der Mindeststandard durch das European Register of Osteopathic Physicians, EROP, formuliert und beträgt mindestens 700 Unterrichtsstunden. Für die nichtärztlichen Osteopathen fordert der BDOÄ eine akademische Ausbildung als Mindeststandard. Ist damit ein grundständiges Osteopathiestudium gemeint oder einen aufbauender Studiengang nach einer Ausbildung an einer Osteopathieschule?
F.M.: Für die Ärzte stellt der EROP-Standard einen osteopathischen Minimum-Standard dar. Ein Arzt studiert 6 Jahre, dann dauert die Facharztausbildung mindestens weitere 5 Jahre (insgesamt 11 Jahre Vollzeit) und darüber hinaus kommen dann noch 700 Stunden in Osteopathischer Medizin. Analysiert man die in Deutschland üblichen Osteopathie-Ausbildung für Physiotherapeuten von 1.350 Stunden, dann kann man folgendes feststellen: Physiotherapie als Ausbildungsberuf von 3 Jahren, dann 1.350 Stunden Osteopathie, davon sind laut Curriculum 730 Stunden reine Osteopathie, der Rest sind medizinische Grundlagenfächer. Der osteopathische Kern ist damit bei ärztlichen und nichtärztlichen Osteopathen absolut vergleichbar, die medizinischen Grundkenntnisse sind aber aufgrund des Medizinstudiums und der Facharzt-Weiterbildung bei Ärzten höchst unterschiedlich.
S.G.: In vielen Gesundheitsberufen, z.B. eben auch der Physiotherapie oder aber auch der Logopädie und Ergotherapie, gibt es ja eine zunehmende Tendenz zur Akademisierung. Bei der Komplexität osteopathischer Medizin sehen wir einen ausreichenden Standard im nichtärztlichen Bereich nur durch eine Akademisierung gesichert.
J.M.: Akademisch bedeutet für den BDOÄ ein Bachelor- und Masterabschluss in Osteopathie. Dabei ist es unerheblich, ob dies ein grundständiges Studium ist oder berufsbegleitend nach der Physiotherapieausbildung erfolgt. Entscheidend sind ausschließlich die Endkompetenzen. Alle Ausbildungen dieser Art müssen universitär erfolgen, sonst sind sie nicht akademisch.
Muss aus Ihrer Sicht ein Osteopath zwingend Akademiker sein, um qualitativ hochwertige Osteopathie praktizieren zu können und braucht der Gesundheitsmarkt ausschließlich akademisch ausgebildete Osteopathen?
J.M.: Die Osteopathen streben ja einen Primärzugang zum Patienten an. Sie wollen damit Heilkunde ausüben. Laut Gesetz dürfen dies in Deutschland nur Ärzte und Heilpraktiker. Das Heilpraktikergesetz bei uns ist übrigens einmalig auf der ganzen Welt und ein Anachronismus. Der Primärzugang zum Patienten ist ein sehr hohes Gut und mit extrem viel Verantwortung verknüpft. Daher ist das Medizinstudium auch mit 6 Jahren nach wie vor das längste Studium.
S.G.: Unabhängig von der Frage des Primärzugangs sind für alle osteopathisch tätigen Therapeuten Ausbildungsstandards zu fordern, die nach Auffassung des BDOÄ letztlich nur eine Akademisierung gewährleisten kann.
Sie äußern sich auch zum sog. CEN-Prozess, mit dem auf europäischer Ebene eine Normierung der osteopathischen Ausbildung und Praxis angestrebt wird. Sie halten, mit Verweis auf den EROP-Standard und die ärztliche Selbstverwaltung, eine solche Normierung für die ärztliche osteopathische Ausbildung für überflüssig. Warum sitzen dann Vertreter einiger Ihrer Mitgliedsverbände im deutschen Spiegelausschuss?
J.M.: Im CEN-Ausschuss sitzen ärztliche Vertreter, weil wir darauf achten, dass der Level im CEN-Prozess nicht weiter verwässert und nach unten gedrückt wird. Leider konnten wir uns nicht mit der Position durchsetzen, dass ganz klar ein Masterlevel verlangt wird. Damit wieder alle Europäer mit ihren „Schulausbildungen“ mitmachen können, wird von einem dem Master vergleichbaren Level ausgegangen. Es wird aber nicht genau definiert, was dies sein soll. Der CEN-Standard ist übrigens keineswegs verbindlich, er ist eine allgemeine DIN-Norm. Gesundheitspolitik ist und bleibt nach den Maastricht-Kriterien autonome Angelegenheit der Mitgliedsstaaten. Ärztliche Ausbildungen und Fortbildungen werden europaweit in der ärztlichen Selbstverwaltung geregelt und dann direkt mit den Gesundheitsministerien abgestimmt. Seit vielen Jahren ist hier bereits eine einheitliche europäische Norm für das Medizinstudium vorhanden. Die Facharztweiterbildung regeln die jeweiligen Länder autonom. Dafür ist in Deutschland die Bundesärztekammer zuständig. Somit trifft die CEN-Norm nicht auf uns Ärzte zu.
Der BDOÄ kritisiert die von einigen Landesärztekammern angebotene Fortbildung für Ärzte in „Osteopathischen Verfahren“ von nur 160 Unterrichtsstunden. Welche Handhabe hat der BDOÄ dagegen und was geschieht mit der umfangreichen „Facharztweiterbildung Osteopathische Medizin“, die der Bundesärztekammer vorliegt?
J.G.: Die „Osteopathischen Verfahren“ spiegeln weder im Geiste noch im Inhalt das wieder, was osteopathische Medizin ausmacht. Schon vor Gründung des BDOÄ gab es von Seiten der ärztlichen Osteopathie eine klare Positionierung gegen dieses Vorgehen. Die Manuelle und Osteopathische Medizin kann einfach nicht mehr in diesen Kategorien gedacht werden. Unser zunehmendes Wissen über neurophysiologische, neurobiochemische und neuroanatomische Zusammenhänge und somit unsere Idee über das, was wir mit unseren Händen ertasten und bewirken, wird einfach durch einen rein technisch-biomechanischen Ansatz nicht mehr abgebildet. Dies ist eine reine Technik-Fortbildung, die mit Osteopathischer Medizin nicht viel zu tun hat. Wer die 160 Stunden OV absolviert, wird niemals das EROP-Diplom erhalten, er wird auch von uns nicht als Osteopathischer Arzt z.b. gegenüber Krankenkassen empfohlen. Bezüglich des beantragten Facharztes Osteopathische Medizin müssen wir die Entscheidungsprozesse in der Bundesärztekammer abwarten. Momentan herrscht mächtig Gegenwind aus Teilen der etablierten Fachgesellschaften. Wir bleiben aber hartnäckig am Ball.
Wie steht der BDOÄ zum Berufsbild des osteopathichen Arztes und des Osteopathen in Deutschland? Auf der BDOÄ-Website lassen sich die EROP-Definitionen für Europa aufrufen, gelten diese genauso für Deutschland?
J.M.: Die EROP-Definitionen sind auch auf Deutschland zutreffend. Osteopathische Medizin ergänzt und erweitert die Schulmedizin im Kontext einer integrierten Patientenversorgung. Wir stehen damit auf dem Boden der Schulmedizin und integrieren den salutogenetischen Ansatz der Osteopathie als Perspektivwechsel in unsere ärztliche Arbeit. Der BDOÄ vertritt die ärztlichen osteopathischen Interessen. Bezüglich der Osteopathen müssen diese selbst ihre Position finden und endlich ein einheitliches Bild abgeben. Hier sind noch viele widerstreitende Positionen und höchst unterschiedliche Qualitätsstandards die Realität.
Die BDOÄ hat im Sommer eine Umfrage unter den Mitgliedern der Mitgliedsverbände durchgeführt. Die Ergebnisse präsentieren Sie in Auszügen nun in Ihrem Positionspapier. Welche Ergebnisse haben Sie als Bestätigung wahrgenommen, welche Ergebnisse waren überraschend?
J.M.: Zunächst möchte ich betonen, dass unsere Umfrage die bisher umfangreichste in Deutschland zum Thema Osteopathie war. Wir hatten über 400 Rückmeldungen und können damit auch repräsentative Daten liefern. Erwartet hatten wir, dass 85% der Ärzte die Schulmedizin mit Osteopathie kombinieren. Dies unterstreicht den integrativen Ansatz der ärztlichen Osteopathie. Am meisten hat uns überrascht, wie viele Ärzte neben der Osteopathie auch andere komplementäre Verfahren benutzen, es sind 40%, von Akupunktur, über Homöopathie zu Naturheilkunde. Erstaunlich ist auch, dass 14% aller osteopathischen Ärzte Psychotherapie einsetzen. Das Therapiespektrum ist somit sehr breit, neben Osteopathie viele komplementären Verfahren und die Psychotherapie. Positiv überrascht hat uns auch die hohe Bereitschaft zu kontinuierlicher Fortbildungen. 70 % der osteopathisch tätigen Ärzte hat in den letzten 3 Jahren mehr als 5 Fortbildungen besucht, 37% sogar mehr als 10 Veranstaltungen. Die BDOÄ-Mitgliedsverbände werden daher in Zukunft die Masterkurse noch weiter ausbauen. Hier geht es inhaltlich um die schwierige Frage, wie wird man von einem qualifizierten osteopathischen Arzt ein Experte in Osteopathischer Medizin.
S.G.: Der BDOÄ sieht sich hier als kritische Instanz, d.h. immer wird auch die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Methode zu stellen sein. Immer mehr Studien sprechen für eine Wirksamkeit osteopathischer Medizin. Bereiche der Osteopathie, in denen die Studienlage noch recht dürftig ist, müssen kritisch begleitet werden, gehören aber natürlich zum Kanon der Osteopathie. Da unterscheidet sich die Osteopathie nicht von Bereichen der Schulmedizin. Translationale Forschung, also die Anwendung von Ergebnissen der Grundlagenforschung im Konzept der täglichen klinischen Praxis, sei hier ein Stichwort. Im Sinne der evidenzbasierten Methode ist eben nicht nur eine bestmögliche Studienlage als Basis ärztlichen Handelns Grundlage, sondern auch die persönliche Expertise des Arztes und, sehr wichtig, der Patientenwunsch. Der BDOÄ sieht sich diesem Dreiklang verpflichtet.
Herr Dr. Mayer, Herr Dr. Giesswein, vielen Dank für das Interview!