Interview mit Dr. Rainer Heller, Preisträger Julius-Springer-Preis "Manuelle Medizin" 2014
(3-2014)
Dr. Rainer Heller
Dr. med. Rainer Heller D.O.M. wurde für seine Forschungsarbeit über die „Bewegungsmerkmale von Nieren mit viszeraler somatischer Dysfunktion. Sonografische Pilotstudie vor und nach osteopathischer manueller Therapie“ ausgezeichnet.
Von Christoph Newiger
Herr Dr. Heller, herzlichen Glückwunsch zu dem im September verliehenen Julius-Springer-Preis „Manuelle Medizin“ für Ihre Forschungsarbeit. In einfachen Worten erläutert, was genau haben Sie wissenschaftlich untersucht und zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Zunächst ist mir in meiner täglichen Arbeit als Internist und osteopathischer Arzt die relative Häufigkeit der Nierenregion als Lokalisation vermutlich primärer somatischer Dysfunktionen aufgefallen. Meine umfassende Ausbildung in Ultraschalltechniken ermöglicht mir die Korrelation mancher Dysfunktionen zu sonografischen Befunden. Die Sonographie bietet die Möglichkeit, Bewegungsverhalten akustisch unterschiedlich reagierender Gewebeschichten dynamisch darzustellen. Im Falle der Niere fielen mir Bewegungsanomalien auf, die wie Verklebungen des Organs in seinen faszialen Hüllen imponierten und die die Niere an ihrer normalen respiratorischen Mobilität behinderten. Ich standardisierte einen Behandlungsablauf, der sowohl auf die Nierenfaszie, die ja Teil der zentralen Kette nach Thomas Myers ist, als auch auf das Nierenparenchym zielen sollte. Dadurch war es möglich das Bewegungsverhalten der behandelten Niere sowohl qualitativ als auch quantitativ zu verbessern. Statistisch war dies sowohl an der Interventionsniere als auch im Vergleich zur Kontrollniere signifikant wahrscheinlicher als die Nullhypothese.
Was bedeutet das Ergebnis Ihrer Arbeit für die Osteopathie und deren Patienten?
Es ist mein Anliegen, durch moderne Studiendesigns die Erkenntnislage in der osteopathischen manuellen Medizin zu verbessern. Nur damit wird sie langfristig nicht nur beim Patienten akzeptiert sein sondern auch akademisch etablierbar. Bei der Studienplanung habe ich als Einschlusskriterium Patienten gewählt, deren therapeutischer POE nach osteopathischen Kriterien die Niere war. Verschiedenartige Beschwerdebilder besserten sich durch Behandlung dieser somatischen Dysfunktion. Vielleicht konnte ich damit erstmals zeigen, dass „da wo´s weh tut“ nicht immer „wo´s her kommt“ ist. Für den osteopathisch denkenden Mediziner mag dies als „selbstverständlich“ erscheinen. Die Evidenzlage dieser Behauptung ist jedoch dünn.
Wie Ihrer Arbeit zu entnehmen ist, bieten die Nieren gut messbare Faktoren, sind weitere Studien zu diesem Thema geplant?
Es handelte sich um eine sogenannte Pilotstudie, die mit 31 eingeschlossenen Patienten bereits einen riesigen logistischen Aufwand im Rahmen einer Einzelpraxis erforderte. In einer Erweiterung der Studie werden insbesondere klinisch relevante Veränderungen untersucht werden. Also – Fortsetzung folgt.
Die Forschungslage im Bereich der viszeralen Osteopathie ist ja leider recht dürftig. Nun haben Sie mit Hilfe der Sonografie die Wirksamkeit der Osteopathie bei der Behandlung der Nieren aufzeigen können. Wäre die Sonografie auch geeignet, um die mögliche Wirksamkeit der Osteopathie an anderen viszeralen Strukturen aufzuzeigen?
Ja. Viszerofasziale Strukturen lassen sich im Bereich des Oberbauchs recht gut mit dieser Methode darstellen. Das mag einer von vielen kreativen wissenschaftlichen Wegen sein, die viszeralosteopathische Medizin aus der Ecke der induktiven Unwissenschaftlichkeit zu befreien.
Was genau ist der Julius-Springer-Forschungspreis „Manuelle Medizin“ und wer verleiht diesen?
Mit dem Preis werden alle zwei Jahre Forschungsarbeiten ausgezeichnet, die sich um das wissenschaftliche Fundament der manuellen Medizin verdient gemacht haben. Der Preis wird vom Springer-Verlag im Rahmen der DGMM-Kongresse verliehen.
Nach welchen Kriterien wurde Ihre Arbeit ausgewählt und bewertet?
Da ich selbstverständlich keine Juryinterna kenne, kann ich hier nur mutmaßen. Die Arbeiten werden auf Belastbarkeit bezüglich der Anforderungen der evidenzbasierten Medizin geprüft. Studiendesign, methodische Exaktheit, Ein- und Ausschlusskriterien, Datenerhebung und Datenverarbeitung sowie eigenkritische Diskussion stellen gängige wissenschaftliche Kriterien einer Qualitätsbeurteilung dar.
Die Zeitschrift „Manuelle Medizin“ ist das Organ der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin, DGMM. Ist es nicht außergewöhnlich, dass die DGMM, die der Osteopathie ihre Eigenständigkeit abspricht, eine Studie zur Osteopathie auszeichnet, zumal Sie osteopathischer Arzt sind sowie langjähriger Dozent der Deutschen Gesellschaft für Osteopathische Medizin, DGOM, welche Osteopathie als salutogenes Medizin-Konzept begreift?
Wissenschaft hat unabhängig zu sein von Politik und Verbands- oder Wirtschaftsinteressen. Forschungsarbeiten müssen ebenso unbefangen bewertet werden. Ich danke der Jury für Ihre professionelle Unvoreingenommenheit.
Ich betrachte die Osteopathie historisch als die Mutter aller manualmedizinischen Techniken. Ich lebe auch ihre salugenetische Idee, verstehe sie aber komplementär zur etablierten Medizin. Die „Manuelle Medizin“ begreife ich zunächst als eine Fachzeitschrift des Springer-Verlags. Ich verfolge sie seit Jahrzehnten, es hat mich nicht dümmer gemacht. Die Ausgabe, in der meine Arbeit erschienen ist, hatte übrigens das Motto „Osteopathische Therapie“. Es finden sich darin mehrere lesenswerte Beiträge anderer DGOM-Mitglieder.
Sie sind Mitglied der DGOM-Akademie und hier für den Bereich Wissenschaft und Forschung verantwortlich. Was genau ist Ihre Aufgabe an der Akademie?
Die Akademie beschäftigt sich mit allen Fragen zu Kursgestaltung, Kursinhalt und Kursmaterialien des Curriculums der DGOM sowie des Masterkursprogramms. Meine Aufgabe sehe ich vornehmlich in der Hilfestellung bei Planung und Durchführung osteopathischer Forschungsprojekte. Literaturrecherchen und die Pflege der Literaturdatenbank stellen einen weiteren Schwerpunkt dar.