Autor des Beitrags „Kassenausgaben für Osteopathie explodieren“ auf NDR Info vom 11. Juni 2014
Von Christoph Newiger
Herr Hornung, Sie haben kürzlich mit Ihrer Kollegin Charlotte Horn für NDR Info einen Beitrag mit dem Titel „Kassenausgaben für Osteopathie explodieren“ erstellt. Die Inhalte ihres Radioberichts sind von zahlreichen Medien aufgegriffen worden, diverse Ärztegesellschaften haben sich auf Ihren Bericht berufen, um gegen die Erstattungspraxis der gesetzlichen Kassen zu protestieren bzw. eigene Forderungen zur Osteopathie zu stellen. Hatten Sie damit gerechnet, dass Ihr Radiobericht solche Wellen schlagen würde?
Sagen wir es so: Ich hatte damit gerechnet, dass die Berichterstattung durchaus wahrgenommen werden wird. Das liegt schon an der Verbreitung. Der NDR und die anderen Sender in der ARD haben bundesweit bis zu 40 Millionen Hörer täglich. Deshalb erreicht ein Radiobericht unter günstigen Bedingungen viel mehr Menschen als mancher Zeitungsartikel.
Sie nennen die Kosten für Osteopathie der 60 größten gesetzlichen Krankenkassen und schreiben, diese hätten sich von 2012 mit 34 Millionen Euro auf 2013 mit deutlich über 110 Millionen mehr als verdreifacht. Ist es nicht normal, dass die Kosten einer neuen Leistung steigen, je länger diese angeboten und beworben wird, etwa über einen Fernsehspot wie bei der TK oder über die Mitgliederzeitschriften und Websites der einzelnen Kassen? Und liegt ein wesentlicher Grund für diese enorme Steigerung nicht darin, dass im Januar 2012 erst nur die Techniker Krankenkasse Osteopathie als neue Satzungsleistung angeboten hat und dann Monat für Monat weitere Kassen hinzugekommen sind? Mir sind aus 2012 weniger als 50 Kassen bekannt, die Osteopathie anteilig erstattet haben, Ende 2013 waren es bereits ca. 100.
Dass eine Leistung umso mehr in Anspruch genommen wird, je mehr für sie geworben wird, steht außer Frage. Das haben wir in unserer Berichterstattung auch nie in Abrede gestellt. Wir wissen von einzelnen Kassen, dass es einen deutlich messbaren Zusammenhang zwischen Werbung und Nachfrage gibt. Eine große Kasse beispielsweise hatte eine Verdoppelung der Osteopathieausgaben verzeichnet, nachdem sie dafür geworben hatte. Als die Werbung eingestellt wurde, halbierten sich die Ausgaben im Folgequartal wieder. Die Tatsache, dass 2013 deutlich mehr Kassen als 2012 für Osteopathie gezahlt haben, hatten wir als einen Grund für die Kostensteigerung angeführt. Allerdings stiegen nach den uns vorliegenden Zahlen auch bei den Kassen, die bereits 2012 die Leistungen bezahlt hatten, die Ausgaben 2013 deutlich an- bis hin zu einer Verdreifachung. Und nicht immer übrigens gibt es einen Zusammenhang zwischen Werbung und Nachfrage. Sprich: Um einen Run auf Osteopathen auszulösen, muss man nicht unbedingt viel Werbung machen - auch wenn die Werbung diesen Run natürlich verstärkt.
Kassenausgaben für Osteopathie von 110 Millionen Euro erscheinen uns Verbrauchern unglaublich hoch. Lassen sich diese Kosten in Relation setzen, etwa zu anderen Kassenausgaben wie zum Beispiel für Physiotherapie?
Wenn man die Zahlen für solche Ausgaben ebenfalls bei den Kassen abfragt: sicher. Was für Physiotherapie ausgegeben wurde, ist in unserem Fall aber nachrangig. Es ging uns alleine darum aufzuzeigen, wie die Ausgaben für Osteopathie gestiegen sind- und damit einen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten. Wenn ich die Folgeberichterstattung anschaue, dann scheint uns das gelungen.
Im aktuellen Heft 2 der „Osteopathischen Medizin“ veröffentlichen wir die Zahlen einer gesetzlichen Krankenkasse. Hier wurden die Gesundheitskosten von Versicherten sechs Monate vor und nach deren osteopathischer Behandlung verglichen. Ergebnis: In dem halben Jahr nach deren Behandlung sind inklusive der Ausgaben für Osteopathie die gesamten Gesundheitskosten dieser Versicherten um 26 Prozent gesunken. Sie haben von den 60 größten Kassen zwar die Kosten für Osteopathie genannt bekommen, nicht aber die möglicherweise daraus resultierenden Einsparungen. Sie schreiben in Ihrem Beitrag, erste Analysen würden kein einheitliches Bild ergeben.Warum fällt es den von Ihnen befragten Kassen leicht, die Kosten einer Leistung zu benennen, nicht aber die damit verbundenen Einsparungen?
Um die Ausgaben für Osteopathie abzufragen, genügt ein Anruf in der Controlling-Abteilung. Um Einsparungen nachzuvollziehen, brauchen sie eine Studie, die wissenschaftlichen Anforderungen genügt. Einige Kassen haben zwar bereits untersucht, ob sich die Ausgaben beispielsweise für Physiotherapie oder für Orthopädenbesuche verringert haben. Das Ergebnis war aber offenbar bisher uneinheitlich und selbst wenn solche Ausgaben gesunken sind, lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit sagen, ob das an der osteopathischen Therapie liegt oder nicht. So berichtete uns eine Kasse in einem ostdeutschen Bundesland, dass es dort viel zu wenige Orthopäden gebe und die Patienten schon deshalb lieber zum Osteopathen gingen, weil sie dort viel schneller einen Termin bekämen. In so einem Fall handelt es sich natürlich nicht um wirkliche Einsparungen.
Manche Ärztegesellschaft kritisiert, die Kassen würden Osteopathie nur aus Marketinggründen anbieten. Das deckt sich aber nicht mit den Rückmeldungen, die Sie von den meisten Kassen erhalten haben. Trotzdem heißt es in Ihrem Bericht, dass sich manche Kasse gezwungen sieht für Osteopathie zu zahlen, da ihr sonst die Versicherten wegrennen würden. Nun war aber mehr Wettbewerb unter den Kassen politisch gewollt und wurde hierfür eigens ein Gesetz geschaffen. War das aus Ihrer Sicht eine falsche Entscheidung?
Ich halte die damalige Entscheidung zumindest für fragwürdig. Der Gesetzgeber hat damals die Folgen einer solchen Gesetzesänderung nicht wirklich bedacht. Es handelt sich ja nicht um einen wirklichen Wettbewerb, der nur etwas reguliert ist. Tatsächlich ist es ein streng reglementiertes System, das immer wieder stabilisierender Eingriffe bedarf, dessen Regeln alle paar Jahre grundsätzlich geändert werden und das somit eigentlich niemandem gerecht wird: weder den Kassen, die reif für den Wettbewerb sind noch denen, die sich mit Mühe und Not über die Runden retten. Die Einführung von Satzungsleistungen wie der Osteopathie hat diesen Gegensatz nur noch verschärft. Klug war das nicht.
Sie haben Ihren Bericht um einen Kommentar ergänzt, in welchem Sie schreiben, die Osteopathie drohe ihren guten Ruf zu verlieren. Wo sehen Sie die Versäumnisse der einzelnen Seiten?
Die Techniker Krankenkasse hat die Schleusen geöffnet, ohne hinreichend zu prüfen, wohin ihr Geld eigentlich fließt. Den Osteopathen hat sie relativ unverblümt gesagt: Regelt das selbst. Dabei wurden wichtige Fragen ausgeklammert: Ist Osteopathie eigentlich einheitlich definiert, gibt es verlässliche Standards in der Behandlung? Sind die überweisenden Ärzte darauf vorbereitet? Wissen diese Ärzte, was Osteopathen leisten können und was nicht? Solche Fragen aber stellen sich seit zwei Jahren immer drängender. Es gibt zudem einen klaren Zielkonflikt zwischen Kassen und Osteopathen. Die Kassen verlangen einen ärztlichen Auftrag an Osteopathen, die Osteopathieverbände dagegen arbeiten auf ein eigenes Berufsbild hin und wollen den „Primärzugriff“ auf den Patienten.
Welche Schritte sollten ihrer Meinung nach seitens der Krankenkassen und seitens der Osteopathen getroffen werden, um die Qualität der Osteopathie zu sichern und die Patientensicherheit zu gewährleisten?
Dazu müssen sich die Osteopathen zunächst im Klaren sein, wer für sie spricht. Dann müssen sich Kassen und Osteopathen an einen Tisch setzen und sich einig werden, was die Grundvoraussetzungen für eine Anerkennung als osteopathischer Behandler sind. Im Augenblick hat jede Kasse eigene Kriterien. Viele verlangen eine Ausbildung von mindestens 1350 Stunden von Osteopathen, deren Leistung erstattet wird, manche aber auch nicht. Einige Kassen führen Positivlisten mit anerkannten Osteopathen, manche orientieren sich nur an der Verbandsmitgliedschaft. Einig sind die meisten Kassen, dass es im Grunde ein völlig unübersichtlicher Markt ist. Dass es offenbar Verbände gibt, die von der 1350 Stunden-Ausbildung deutlich nach unten abweichen, ist da sicher wenig hilfreich. Das alles in den Griff zu bekommen, ist allerdings Aufgabe der Osteopathen selbst. Auf den Gesetzgeber braucht man da nicht zu warten.
Sie haben mit vielen Kassen gesprochen. Wie lange wird Ihrer Meinung nach Osteopathie als Kassenleistung in der jetzigen Form noch Bestand haben?
Hinter einen bestimmten Punkt kann meines Erachtens keine Kasse zurück. Das heißt: So lange es keine Gesetzesänderungen gibt, wird Osteopathie auch in Zukunft noch erstattet werden. Allerdings überlegen gerade Kassen, die besonders viel für Osteopathie ausgeben, wie sie diese Kosten reduzieren können. Da wird nach unseren Informationen über höhere Eigenbeteiligung der Patienten pro Behandlung oder eine Senkung des Maximalbetrages pro Jahr nachgedacht. Ein erstes Zeichen: Es gibt große Kassen, die im Gegensatz zum vergangenen Jahr nicht mehr groß damit werben, dass sie Osteopathiebehandlungen erstatten. So will man die Kostenexplosion zumindest etwas stoppen.
Werden Sie an dem Thema Osteopathie dranbleiben?
Ja. Wir werden auf jeden Fall die weitere Entwicklung beobachten.